Begriffe wie Transparenz und Information werden gerne angerufen, wenn es um die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft geht. Dies ge- schieht aber nicht, um auf die „schöne neue Welt“ der Wissensgesellschaft zu verweisen. Im Gegenteil, Politik, Medien und Wirtschaft beschwören diese Schlagwörter, um Intransparenz und Informationsasymmetrien zu beklagen. Es scheint, als wäre in einer vor Information berstenden Gemengelage Wett- bewerbsvorteil nur mehr über gezielte Verschleierung, Verkürzung und Be- einflussung erzielbar. Zusätzlich erzeugen Soziale Medien ein Umfeld, das die Entstehung von Filterblasen und Echokammern fördert, und damit eine Veren- gung der Weltsicht. Begriffe wie Alternative Truth oder Fake Truth beschreiben eine Situation, in der Wahrheit davon abhängt, wem man zuhört – ein massi- ver Vertrauensverlust in traditionelle Institutionen, der von machtbewussten Personen ausgenutzt wird, um Anhängerschaften aufzubauen, die vor wenigen Jahren noch undenkbar schienen (wie etwa Donald Trump).
Postdemokratische und zunehmend auch antidemokratische Bewegungen entstehen nicht durch Zufall. Sie beruhen auf Strategien, die Information und Wissen intransparent halten. Sobald wir das Internet nutzen, erzeugen wir Daten. Und obwohl sie an sich uns gehören, werden diese Daten im großen Stil ausgebeutet. Während in den 2000er Jahren Wettbewerb umkämpfter wurde, da mehr Wissen zu immer höherer Effizienz führte, leben wir heute in einer Zeit des Hyperwettbewerbs, in der Effizienz keinen Wettbewerbsvorteil mehr zu bringen scheint. Nun geht es darum, Monopole zu erzeu- gen. Mit anderen Worten, Intransparenz wird radikal derart erhöht, dass nicht mehr erkennbar ist, wie Wissen genutzt wird. In dieser Situation hat das alte, wahrscheinlichkeitstheoretische Paradigma der Wahrheit ausgedient. Stattdessen werden Nachrichten eskaliert und damit Aufmerksamkeit über Affekte so manipuliert, dass keine andere „Wahrheit“ mehr akzeptiert wird. Die Utopie einer technologisch unterstützten, fairen Gesellschaft weicht einer Dystopie, in der sich alles, auf das man ‚setzen‘ konnte, in Unkenntlichkeit auflöst.
Der von Gerald Nestler geleitete Workshop während der 34. Weinviertler Fotowochen beschäftigt sich mit dieser Problematik. Wir untersuchen, welche manipulativen Strategien und Taktiken angewendet werden, woher sie kommen und ob bzw. wie wir ihnen entgegentreten können. Was können wir heute noch erkennen, was können wir wissen? Was bedeutet „Aufklärung“ in unseren Zeiten, und welche künstlerischen und/oder aktivistischen Gegenentwürfe braucht es? Neben Fotografie können auch andere künstlerische Medien verwendet werden, wie beispielsweise Collage/Bricolage, (multimediale) Daten- und Infographik, Video oder Installation.
alle Abbildungen/ all images: Gerald Nestler, RESOLUTIONIZATIONS
GERALD NESTLER lebt als Künstler und Autor in Wien. In seiner Arbeit verbindet er Video, Installation, Performance, Zeichen und Sprache mit theoretischen Überlegungen. Außerdem entwickelt und kuratiert er neue Formate, die sich einem postdisziplinären Zugang zur Kunst widmen. Er beschäftigt sich mit Modellen, Technologien und Narrativen der Finanzmärkte und deren Rolle in der Erzeugung gesellschaftlicher Realität. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit mit Projekten und Ausstellungen in Österreich und international (u.a. in Brasilien, China, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Hongkong, Kanada, Libanon, Portugal, Schweiz, Spanien und den USA) ist er als Autor und Herausgeber tätig, z.B. Kunstforum International, Bände 200/201 (mit Dieter Buchhart); Forensis (Sternberg Press, 2014); Making of Finance (mit Armen Avanessian, Merve Verlag, 2015); Finance & Society (mit Suhail Malik, 2016); Technosphere (Haus der Kulturen der Welt, Berlin, 2017); Routledge Handbook to Critical Finance Studies (mit Victoria Ivanova, 2020), Performance Research Journal (2021). Nestler erhielt das österreichische Staatsstipendium für bildende Kunst (2003) und neben weiteren Förderungen die österreichischen Auslandstipendien Beijing (2008), Krumau (2010), New York/ISCP (2016) und Tel Aviv (2020). Er promovierte am Centre for Research Architecture, Goldsmiths, University of London (PhD,2017), wo er bei Forensic Architecture als Researcher tätig war.