Charlotte Gohs, Weiter Winkel – Gärten im Weinviertel und Arbeiten von Alfred Hruschka

24.6.2022 17 Uhr Buchpräsentation & Eröffnungsgespräch: großer Saal; anschließend Ausstellungseröffnung in der Galerie 1 + Salon

Das Buch ist am Tag der Eröffnung und während der Ausstellung im Schloss Wolkersdorf zu einem Sonderpreis von 20.- erhältlich.

25.6. – 31.7.2022 Ausstellung: Schloss Wolkersdorf, Galerie 1 + Salon,
Samstag, Sonntag 14 – 18 Uhr und nach persönlicher Vereinbarung

© Charlotte Gohs

„Schon als Kind liebte ich es, im Garten zu sein, mich den Sinneseindrücken in einer behüteten Natur zu überlassen. Ebenso liebe ich es, Menschen zu begegnen und ihre Geschichten zu sammeln. Fotografie ist für mich seit 30 Jahren das Mittel einer Annäherung: an die Natur und an die Menschen. Ebenso lange führen mich meine Wege zur Arbeit durch Wolkersdorf, vorbei an Häusern, hinter denen sich Gärten verbergen. Im Projekt Weiter Winkel konnte ich meine Begeisterung für Gärten und mein Interesse an den Menschen endlich zusammengeführen! “ Charlotte Gohs

Insgesamt 49 Gartenbesitzer*Innen in der Region Wolkersdorf haben Charlotte Gohs die Türen zu ihren Gärten geöffnet, haben über ihre Gärten und Pflanzen, die Natur und über ihr Leben erzählt. Entstanden ist damit nicht nur eine Reihe von Gartenportraits, sondern eine Sammlung von Geschichten über Menschen, Gärten und Leben in der Region Wolkersdorf.

In der Ausstellung Weiter Winkel werden auch einige ausgewählte Arbeiten des in Falkenstein lebenden Künstlers Alfred Hruschka gezeigt, den Charlotte Gohs im März 2020 und im Mai 2022 in seinem „Gartenatelier“ besucht hat. Er sammelt und sortiert verschiedene Materialien wie Textilien, Holz, Eisen und organische Stoffe, setzt sie in seinem Garten oft jahrelang dem Zugriff der Natur aus und verfolgt den Transformationsprozess von Werden und Vergehen. So entstehen – mit oft nur minimalen künstlerischen Eingriffen – Bilder, Skulpturen und Installationen.

Die Ausstellung wird unterstützt von: BLUMEN von SCHULLER, werbstatt und FLUSS (Wolkersdorf)
Gefördert von der Stadtgemeinde Wolkersdorf

Ausstellungsfotos von Michael Michlmayr

Charlotte Gohs

Vom weiten Winkel Weinviertler Gärten

Betrachtungen, Geschichten und Fotografien von Gärten, Gärtnerinnen und Gärtnern in der Region Wolkersdorf.

Schon als Kind liebte ich es, im Garten zu sein. Ich erinnere mich an den Geschmack der ersten sonnenwarmen Paradeiser, Erdbeeren und Himbeeren, an den Gesang der Amseln am Morgen und an den Fasan, der jeden Abend über den Zaun geflogen kam, um in der großen Fichte die Nacht zu verbringen. Zu meinem dritten Geburtstag bekam ich eine kleine grüne Gießkanne ge­schenkt. Noch immer ist ein Garten für mich ein geschützter Raum im Grünen, ein Ort der Ruhe und der Fürsorge. Ein Ort im Freien, den ich mit Pflanzen, Tieren und Menschen teilen kann, ohne meinen privaten Lebensraum verlassen zu müssen. Hier kann ich schauen, lesen, arbeiten und einfach SEIN.

Seit meinem 20. Lebensjahr lebe ich mitten in Wien, seit 17 Jahren in einer Wohnung mit einem großen Balkon. Von April bis November beginnt mein Tag mit einem Rundgang bei meinen Pflanzen, der von einem morgendlichen Krah-Krah – ein Krähenpaar fühlte sich 15 Jahre lang auf meinem Balkon sehr wohl – oder einem Amselkonzert begleitet wird, und schon kann ich atmen und schon geht‘s mir gut!

Hier stellt sich bei mir ein ähnliches Gefühl ein wie in einem Garten – jedes Jahr freue ich mich auf das Einpflanzen der Blumen und Kräuter. Die in einer Wolkersdorfer Gärtnerei ein­gekauften Pflanzen befördere ich mit der S-Bahn nach Wien, hege und pflege meine Blumen, Kräuter und Paradeiser, bestaune ihr Werden und Vergehen und erfreue mich an den vielen Bie­nen, Hummeln und Schmetterlingen, die, mitten in der Stadt, von den Blüten angelockt werden. Von meinem Balkon habe ich einen weiten Blick über die Dächer der Großstadt.

Der Garten meiner Kindheit in den sechziger Jahren befand sich in meinem Heimatort Neusiedl an der Zaya, nur einige Kilometer entfernt vom damaligen Eisernen Vorhang und da­her in einem „toten Winkel“ des Weinviertels, in dem gar nichts „weit“ erschien. Als Fotografin bevorzuge ich jedoch das Weitwinkelobjektiv mit einem Bildwinkel von 12 bis 40 Grad, der über den Bildwinkel des menschlichen Auges von etwa 40 bis 50 Grad weit hinaus geht. Charakteri­stisch für ein Weitwinkelobjektiv ist die große Tiefenschärfe.

2011 war ich auf Einladung einer regionalen Kulturinitiative in einem Prättigauer Dorf (Kanton Graubünden/Schweiz) zu Gast. Fasziniert von den dortigen prachtvollen Bauern- und Hausgärten und angeregt von den sprachlichen und kulturellen Differenzen, die ich überwinden wollte, habe ich deren Besitzerinnen und Besitzer fotografiert und ihre Geschichten aufgeschrie­ben (verWurzelt – Gärten in Jenaz, die Hasena/Museum in Bewegung, 2011). Die Liebe zum Garten hat es ermöglicht, Nähe und Vertrauen herzustellen.

Angeregt vom Leitthema „Weitwinkel“ des Weinviertler Viertelfestivals 2022 habe ich nun, zehn Jahre später, eine ähnliche Recherche in jener Region versucht, die mir seit 30 Jahren nahe und vertraut ist. So lange arbeite ich im Schloss Wolkersdorf für den Verein FLUSS – Nie­derösterreichische Initiative für Foto- und Medienkunst.

Vor allem auf meinen Wegen zwischen Bahnhof und Schloss, durch die Bahnallee oder die Haasgasse, und darüber hinaus entlang der Haupt­straße, des Alten Marktes, der Johannesgasse, der Brünner und der Wiener Straße und in die Siedlungen hinter dem Schloss, konnte ich beobachten, was sich verändert hat und was Bestand hat, aber fotografieren konnte ich hier – im Gegensatz zu meinen Erkundungen an anderen Orten – immer nur, was offenkundig am Weg lag. Und zufällig begegnet bin ich auch nur selten je­mandem, mit Ausnahme der Hunde.

Denn im Weinviertel sind die meisten Gärten, abgesehen von den wenigen noch erhaltenen Vorgärten, „hintaus“ hinter Mauern oder Hecken verborgen. Meine Idee, nach so vielen Jahren mehr über die Menschen, die diese Häuser und Gärten bewohnen, zu erfahren und gleichzeitig auch neue Gebiete in Wolkersdorf und Umgebung zu erkunden, hieß, die gewachsenen und gebauten Barrieren zu überwinden. Ich konnte nicht (so wie ich es z.B. aus der Schweiz oder aus anderen ländlichen Regionen kenne) einfach über den Zaun hinweg mit jemandem ins Gespräch kommen; nein, ich musste zu­erst anläuten, den Menschen mein Projekt erklären und sie zum Mitmachen einladen – und es hat mich überrascht, dass ich nur eine einzige Ablehnung erfahren habe.

Noch mehr hat mich überrascht, was ich gefunden habe: ein weites Spektrum von gärtnerischen Ideen, die vielfältige Sehnsüchte zum Ausdruck bringen und jeden Garten, egal wie groß oder klein er ist, als einen „weiten Winkel“ in Bezug auf die Welt verstehen lassen.

Egal, ob der Garten ein Ort der willentlichen Gestaltung, von Inspi­ration oder Produktion oder Simulationsraum für „paradiesische Zustände“ ist, so ist er immer ein Lebensraum, der Geschichten erzählt; sei es von räumlicher oder zeitlicher Ferne (exotische Pflanzen, historische Relikte), sei es von familiärer Nähe. Wie findet der Mensch sein Glück in den weiten Winkeln des Gartens?

Der Garten war immer schon ein Sinnbild des Natur- und des Kulturverständnisses des sesshaften Menschen. Nomaden legen keine Gärten an. Das mit Gerten (daher „Garten“!) um­zäunte Areal gestalteter Natur bedarf der Pflege, es wird bestellt und gehegt, es ist ein Hort der Geborgenheit und Abgeschiedenheit („hortus conclusus“) und im besten Fall ein „Garten Eden“, ein Paradies des einst verlorenen und wiedergefundenen Glücks.

„Wer einen Garten anlegt, entwirft sein Wunschbild der Welt“, schreibt Gilles Clément, Landschaftsgestalter, Künstler, Architekt, Gärtner, Ingenieur der École Nationale d’Horticulture und Professor an der École Nationale des Paysages in Versailles in seinem Buch „Gärten, Land­schaft und das Genie der Natur“.

Für Gilles Clément ist der Garten der Zukunft unser gesamter Planet, sein Gärtner die ganze Menschheit. In diesem Garten ist der Gärtner nicht Herr, sondern gleichberechtigter Teilhaber. „Der planetarische Garten“ ist die (realistische) Utopie einer die Welt umfassenden Landschaftspflege. Der Gärtner erschafft und zerstört nicht.

Heute besteht kein Zweifel daran, dass unsere Zivilisation ein neues Naturverständ­nis braucht, in dem wir uns selber wieder als einen Teil der Natur sehen – Gärten können dazu beitragen.

49 Gartenbesitzerinnen und -besitzer in der Region Wolkersdorf haben mir die Türen zu ihren Gärten geöffnet, haben über ihre Gärten und Pflanzen und auch über ihr Leben erzählt und es war mir eine große Freude, diese Nischen und weiten Winkel des Weinviertels (mit aus­reichender Tiefenschärfe) betrachten zu dürfen.

So ist nicht nur eine Reihe von Gartenportraits entstanden, sondern auch eine Samm­lung von Geschichten von und über Menschen und ihre Gärten, die Natur und die Kultur, das Kommen und Gehen, das Werden und Vergehen, über die Geschichte und das Leben selbst.

Nachdem uns die Covid19-Pandemie seit März 2020 in einen unnatürlichen Abstand gezwungen hat, habe ich mich besonders auf und über die Begegnungen und Gespräche mit den Menschen gefreut, denn „Begegnungen verändern uns, indem sie uns mit dem Anderen konfrontieren“, schreibt Charles Pépin, und jeder zwischenmenschliche Kontakt ist auch eine Begegnung mit der Welt und mit uns selbst.

Meine Wege in Wolkersdorf führten mich vom Schloss oder Bahnhof ausgehend in be­kannte Gegenden, ich entdeckte aber auch mir bis dahin unbekannte Winkel und Perspektiven und eine große Vielfalt von historisch gewachsenen Gartentypen.

Mitten im Zentrum erstrecken sich entlang der Hauptstraße hinter den aneinander gereihten, im Kern mittelalterlichen Gebäuden, versteckte Gärten, die lang und schmal bis zur Mittelstraße oder Hofgartenstraße reichen.

Im Gebiet zwischen Johannesgasse und Kellergasse erschloss sich mir der älteste Sied­lungskern Wolkersdorfs, der vermutlich 1050 gegründet wurde. Durch den „Alten Markt“ verlief einer der wichtigsten Handelswege Mitteleuropas, die Salzstraße. Sie erreichte Wolkersdorf in der heutigen Johannesgasse und passierte den „Rosenhof“, die spätere Poststation, wo die Pferde gewechselt wurden, bevor die Wagen durch die heutige Kellergasse steil bergauf fuhren. Kaum zu glauben, dass die Trasse der heutigen Brünnerstraße erst 1722 errichtet wurde.

Dadurch entstand ein neues Siedlungsgebiet entlang der Kaiser-Josef-Straße, wo ich vier interessante Gärten besuchte, darunter auch zwei der von Kaiser Josef II vergebenen, soge­nannten „Viertellehen“ mit ihren Hakenhöfen auf lang gestreckten Grundstücken.

Mit der Eröffnung der Eisenbahnlinie Stadlau – Laa an der Thaya im Jahre 1870 begann eine neue Ära für Wolkersdorf. Zwischen Bahnhof, Zentrum und Schloss errichtete alleine der aus Wien zugezogene Baumeister Josef Haas bis 1903 an die 150 Wohnhäuser im Landhaus­stil, hauptsächlich im Auftrag von Wiener Bürgern und Beamten, die ihre an­fänglichen Sommerfrische-Domizile bald zum ständigen Wohnsitz machten. Die Gärten wurden nach dem Vorbild des Wiener Cottages angelegt, dienten aber auch als Nutzgärten. Und später wurden entlang der Bahntrasse Eisen­bahnergärten angelegt.

In den letzten 50 Jahren entstanden neue Siedlungsgebiete mit Ein­familienhäusern nördlich der Kaiser-Josef-Straße im weiten Areal zwischen Brünnerstraße und Hochleithenwald mit neuen gärtnerischen Möglichkei­ten und die Reihenhaussiedlung Untere Hofgärten hinter dem Schloss. Ich entdeckte aber auch den Gemeinschaftsgarten und die privaten Gärten im Forstamt in der Rudolfgasse, Reste von Ziegelöfen nicht nur in der Ziegelofen­gasse, sondern auch in der Haasgasse, und viele Kunstwerke.

Ich fuhr zu Bauerngärten in Großengersdorf und Pillichsdorf, erfuhr von den Gemeinschaftsparzellen am Feld in Obersdorf und von einem öffent­lichen Kräutergarten in Bockfließ. Ich besuchte private Hausgärten in Obers­dorf, Riedenthal, Münichsthal, Pfösing, Schleinbach, Niederkreuzstetten und Ulrichskirchen und meine Neugier ließ mich Unerwartetes im dortigen Mei­erhof entdecken. In den Gesprächen mit den Gärtnerinnen und Gärtnern zeigten sich die verschiedenen Auffassungen, ja Philosophien von Gärten – was alle eint, ist aber die Liebe zu ihrem Garten, die Freude an der Gartenar­beit, an den Pflanzen und am SEIN im Garten.

Ich danke sehr herzlich allen beteiligten Gärtnerinnen und Gärtnern für ihr Tun und ihre Teilnahme an meinem Projekt, sowie Katharina Klaus und Stefan Streicher für Hinweise auf weitere Gärten. Mein besonderer Dank gilt der Stadtgemeinde Wolkersdorf für die Förderung der Publikation und FLUSS für das Zustandekommen der Ausstellung, Martin Breindl für das Lay­out und Peter Zawrel für seine textliche Unterstützung. Helmuth und Harald Holzmann danke ich für die Unterstützung bei der Hängung der Ausstellung.

Wolkersdorf im April 2022