Return2Ithaca

Kurator*innen: Martin Breindl, Krzysztof Candrowicz (PL), Nina Kassianou (GR)

Künstler*innen: Alessandra Baldoni (I), Galateia Iatraki (GR), Diana Lelonek (PL), Evi Leuchtgelb (A), Panos Mazarakis (GR), Aleksandra Nowysz (PL), Georgia Ponirakou (GR), Eva-Maria Raab (A), Mafalda Ruao (P), Konstantinos Zirganos-Kazoleas (GR)

Eröffnung: 24.9.2022, 18 Uhr
24. 9. – 23.10. 2022, Samstag, Sonntag 14 – 18 Uhr, Galerie 2

Unter dem Titel RETURN 2 ITHACA initierte die griechische Kuratorin Nina Kassianou auf der griechischen Insel Ithaka im August/September eine 15tägige Residency, in der Künstler*innen und Kurator*innen im permanenten Austausch gemeinsam arbeiteten und sich gegenseitig inspirierten. Vier griechische Künstler*innen trafen auf vier internationale Kolleg*innen, die von Krzysztof Candrowicz (PL), Martin Breindl (A) und Nina Kassianou ausgewählt worden waren. Öffentliche Workshops und Lectures begleiteten den Arbeitsprozess.

Ithaka ist die mythologische Heimat von Odysseus, der Sehnsuchtsort, an den zurückzukehren unmöglich erscheint. In einer zeitgenössischen Interpretation könnte es bedeuten: Die Hoffnung, in eine Heimat zurückzukehren, die verloren scheint, die Nostalgie und die Sehnsucht, vertraute Orte und Menschen wiederzusehen und die Erinnerung, die trotz des unerbittlichen Zeitablaufs dennoch intakt bleibt. Auch die Fragen von Isolation, Einschränkung und Fremdbestimmtheit, die in der Krise eine so zentrale Rolle gespielt haben, fließen in die künstlerische Beschäftigung mit der konkreten abgeschiedenen Insel ein. Wir zeigen die künstlerischen Ergebnisse dieser Residency.

https://www.return2ithaca.gr/

© Alessandra Baldoni

Ithaka symbolisiert Rückkehr, und die wahre Reise ist die Rückkehr, um Ursula Le Guin zu zitieren. Wohin man auch reist, egal auf wie viele magische Orte man trifft, wie viele Erfahrungen das Wis- sen bereichern, wie viele Farben und Düfte die Seele erfüllen – da gibt es immer das Ithaka im Kopf; und erst die Rückkehr verleiht der Reise Wert und Bedeutung.

Return2Ithaca (R2I) ist ein 15-tägiges Artists-in-Residence Projekt auf der Insel Ithaka, der sagenum- wobenen Heimat des Odysseus, bei dem sich internationale Künstler:innen von den vielschichten Bedeutungen der Odyssee inspirieren lassen und internationale Kurator:innen ihren Arbeitsprozess begleiten. Alle hier gezeigten Arbeiten sind anlässlich dieses Projekts im Sommer 2021 entstanden.

© Galateia Iatraki

Galateia Iatraki, Du kennst ihren Namen • Eine der Szenen des Odyssee-Epos ist die Ermordung von zwölf Frauen, Sklavinnen des Palastes, durch Odysseus Sohn Telemachus, nach dessen Rückkehr nach Ithaka. Den zwölf Frauen wurde vorgeworfen, wegen ihrer nicht ganz freiwilligen sexuellen Beziehun- gen mit den Freiern Schande über das Königshaus gebracht zu haben. Sie blieben bis zuletzt anonym. Soziale Spannungen, Gewalt und der (Klassen-)Kampf um Frauenkörper gewinnen durch Werke des 21. Jahrhunderts neue Bedeutungen in der zeitgenössischen Rezeption der Odyssee. Gail Holst-Warhaft hat in ihrer Arbeit «Penelope’s Confession» diesen zwölf Frauen Namen gegeben, die an das Gedenken für Kriegsopfer erinnern. In einem «konstruierten» Frauenporträt projiziert Galateia Iatraki auf Ausweisfotos von 12 Frauen – einer anonymen Frau, die nicht existiert und gleichzeitig so viele repräsentiert – Elemente aktueller Geschichte n geschlechtsspezifischer Gewalt.

© Eva-Maria Raab

Eva-Maria Raab, re-turning around • Eva-Maria Raab nutzt in ihrer Serie re-turning around die nächtlichen Bewegungen des Ionischen Meeres um die griechische Insel Ithaka und bannt sie auf Aquarellpapier. Um dies zu erreichen, ließ sie das Meerwasser zunächst auf licht- und flüssigkeitsempfindliches Papier spritzen, um dauerhafte Spuren der Wellen unter ihr zu hinterlassen. Im zweiten Arbeitsschritt setzt sie das gleiche Papier der Sonne aus und fixiert die Meereswellen, die selbst eine Art abstrakte Landkarte geschaffen haben. Mit goldener Tinte hebt Raab die Spuren des Wassers hervor und erschafft eine surreale Landschaft. Die Bewegungen der Meereswellen definieren Land und Meer, Pfade und Inseln neu. Wie im Leben enden manche Wege einfach, andere verzweigen sich oder scheinen endlos zu sein. Wir entscheiden, wohin wir gehen und erschaffen unser eigenes Universum. Mit der Umkehrung verweist Eva-Maria Raab auch auf die Odyssee als permanente Suche nach unserem Weg zu unserer inneren Heimat. Eine Suche, bei der wir auf unerwartete Wendungen stoßen.

© Evi Leuchtgelb

Evi Leuchtgelb, Entschuldigen Sie, wo ist hier der Ausgang? oder: Eine Odyssee durch Zeit und Raum • Ich laufe beobachtend und forschend durch die Straßen von Vathi. Die Sehnsucht nach Fernweh und die Liebe, auf die Insel zurückzukehren, sind offensichtlich. Es ist im Gespräch zu hören, in Illustrationen zu sehen, in der Stadt und am Hafen. All diese Gefühle spiegeln eine enge Verbindung zum modernen und antiken Ithaka wider. Ein spitzer Finger reißt michaus meinen Gedanken. Es zeigt mir den Weg zu einem blauen Tor. Darauf steht Schifffahrts- und Volkskundemuseum. Getrieben von heroischer Abenteuerlust trete ich ein. Neugierig wandere ich umher und begegne seltsamen Kreaturen mit durchdringenden Blicken und massiven Objekten, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Lichter reflektieren, Spiegel verschlucken mich und spucken mich anderswo kopfüber wieder aus. Seltsame Gestalten rumpeln die Treppe hinauf; Ich muss mich verstecken, schnell! Durstig trinke ich aus großen Gefäßen, bin plötzlich müde und schläfrig und finde mich später in der Falle wieder. Ich kann weder vor noch zurück gehen. Es scheint, als wäre ich verloren… Nur List und Arglist ließen mich entkommen. Immer wieder frage ich nach dem Weg, bekomme aber keine Antwort. Nur geheimnisvolle Stimmen und Gesang trüben meine Willenskraft. Die Zeit scheint still zu stehen. Achtung! Ausweg? Da scheint mir ein sehnsüchtiger Blick den richtigen Weg zu weisen – endlich ein Schlüssel…

© Georgia Ponirakou

Georgia Ponirakou, Diary of fears • „Laistrygonians, Cyclops / wild Poseidon—you won’t encounter them / unless you bring them along inside your soul, / unless your soul sets them up in front of you…“ In seinem Gedicht Ithaka bezieht sich Konstantinos Kavafis auf unsere Ängste als Laistrygonianer und Zyklopen. Unbekannte, störende Gefühle, die uns still- und zurückhalten. In dieser Fotoserie habe ich Menschen gebeten, nach innen zu schauen und ihre innersten Ängste auszudrücken. Wie sich herausstellt, gibt es Universalität in der Angst – ein gemeinsames menschliches Merkmal. Ihre Ängste sind in diesem Tagebuch auch meine. Ängste leben in unserem Geist und unserer Seele, die uns daran hindern könnten, die Freude und das Glück im Leben vollständig zu erfahren. Gleichzeitig sind sie jedoch Antrieb, um uns zu befreien und voranzutreiben, um über den Zweifel und das Unbekannte hinauszugehen. Indem wir sie umarmen, ihnen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, könnten sie im Nachhinein lustig und klein werden. Und in diesem Prozess können wir feststellen, dass wir auch das Leben annehmen.

© Aleksandra Nowysz / Maciek Zych, Paweł Krzaczkowski

Aleksandra Nowysz / Maciek Zych mit Paweł Krzaczkowski, 12 Auletriden • Der Wind wehte in den Segeln des Schiffes von Odysseus, dessen Mythos zum Sinnbild des Reisenden wurde – des Helden, des Mannes der Tat, des herrschenden, erwarteten und zurückkehrenden Mannes. Während der gesamten Odyssee wehte der Wind, obwohl wir es nicht im Text finden werden, nicht nur auf See, sondern auch an Land und bewegte neben den Segeln auch die Flügel von Windmühlen. In diesen Windmühlen mahlten die Bauern Getreide zu Mehl – für Brot. Aber diese und andere reproduktive Arbeit – die vor allem von Frauen geleistet wird – wird in der Geschichte, die von der herrschenden Klasse und dem Geschlecht erzählt wird, an den Rand gedrängt. Gleichzeitig finden wir in Homers Odyssee viele Beschreibungen bukolischer Feste – reich an Produkten dieser verborgenen Arbeit des Volkes. Im alten Griechenland wurden Feste für alle Sinne gemacht – natürlich für die männlichen und privilegierten Sinne. Und so wurden die Feste neben der Fülle an Speisen und Getränken unter anderem durch die Gesellschaft von Auletriden – Mädchen, die Aulos (also Flöte) spielten – bereichert. Auletriden konnten während des Festes auch sexuell missbraucht werden und beim Aulosspielen wurde ihnen buchstäblich und symbolisch der Mund verschlossen. Auf Ithaka gibt es Ruinen mehrerer steinerner Windmühlen. Sie stehen auf ihren natürlichen Sockeln – an erhöhten Stellen, damit sie mehr Wind in ihre Flügel fangen können, von denen heute nur noch Spuren in der Backsteinstruktur übrig sind. Wir entschieden uns, die 12 Windmühlenruinen erneut zu „betreiben“, um mit Windenergie zu produzieren – diesmal Kunst. Wir haben Pfeifen durch die Löcher in den Steinwänden gesteckt und so die Windmühlenruine in ein Musikinstrument verwandelt, das wie eine einfache Volkspfeife funktioniert. Die Windmühlenruinen, gleichzeitig durchdrungen und geatmet, sind eine Allegorie auf Auletryd. Zwölf ist eine Zahl, die den Mägden entspricht – zum Schweigen gebracht, vergewaltigt und in der Odyssee getötet. Aus den stillen Ruinen sind spielende Monumente geworden. Es ist eine Hommage an alle, die reproduktive Arbeit leisten – ausgebeutet, von der Geschichte übersehen und in der Gegenwart verborgen.

© Panos Mazarakis

Panos Mazarakis, Piece in silence • Im Versuch, einen objektiven Ansatz für die gegenwärtige Migrationskrise aufzubauen, zeigt das Projekt „piece in silence“ eine Reihe von Bildern, in denen die visuelle Sprache – Pixel digitaler Dateien, grafische Inhalte, Google Maps und Videos – in Kombination mit der verschriftlichten Rede von Homer. Wörter und Sätze aus der Odyssee werden in einer Art von Substraktionsmethode isoliert, um die Ökumene und Zeitlosigkeit des homerischen Epos zu betonen.

© Diana Lelonek

Diana Lelonek, Nester von Ithaka • Griechenland liegt auf der Flugroute Hunderttausender Vögel, die im Frühling nach Norden und im Herbst nach Süden ziehen. Im April 2020 drängte extrem starker Wind Zugvögel – Schwalben und Mauersegler – aus ihren gewohnten Bahnen. Sie kämpften mit Wind, starkem Regen und extrem kaltem Wetter. Ihre Reise wurde so viel länger als gewöhnlich, weil der Wind ihre Route verändert hatte. Sie kamen erschöpft in Griechenland an. Viele Vögel starben und kehrten in diesem Frühjahr nie in ihre Nester zurück. Während meines Aufenthalts in Ithaka fing ich an, die Einheimischen der Insel zu fragen, ob die Schwalben nach diesem großen Hurrican in ihre Nester zurückgekehrt sind. Ich habe Bilder von Nestern gesammelt, die ich an den Häusern im Dorf Vathi gefunden habe. Einige Schwalben kehrten zurück, aber viele von ihnen sind nie heimgekommen, ihre Nester sind immer noch leer.

© Mafalda Ruão

Mafalda Ruão, Every Myth is a Return • Was ist unser Leben, wenn nicht ein Ineinanderblenden von Ideen, Assoziationen und flüchtigen Visionen, intermittierende Fragen an unsere Erinnerung und Geschichte, zusammen mit der vergehenden Zeit? Die Erinnerung ist nicht statisch, sie wird häufig in einen Schutzschild gegen die natürlichen Verluste der Zeit, das erzwungene Vergessen umgewandelt. Diese Membran bleibt jedoch nicht intakt – sie wird verletzt, da nur die Wunde übrig bleibt. Geschichte und Erinnerung sind unvereinbar. Was ist ein Mythos, wenn nicht eine Reihe von Geschichten, die uns glauben machen, dass ein Ereignis genau so passiert ist, wie es geschrieben steht, basierend auf nichts anderem als der Absicht oder Erinnerung seines Autors? Dennoch ist das Gedächtnis fehlerhaft und kann immer wieder neue Versionen vergangener Ereignisse fabrizieren, um dem Verlangen der Gegenwart gerecht zu werden. Wie viele Erfahrungen werden also durch das Interesse an der Herstellung von Geschichte verhindert oder gehemmt? Gibt es wahre Erinnerungen, die nicht durch die Geschichte korrumpiert oder von Bildern beeinflusst sind? Wenn die Geschichte eine Reihe fehlerhafter Erinnerungen ist, die nicht immer zuverlässig sind, ist es dann möglich, eine universelle Geschichte zu schaffen? Wenn ja, wie viel davon können wir vertrauen? Diese Arbeit ist an der Zeit. Wir können es nicht still halten, noch die Dinge, wie sie waren. Das Land ändert sich, ebenso wie Objekte und Beziehungen. In einem unbestreitbaren kontinuierlichen Gefühl des Verlierens: Heimat, Natur, Identität. Man selbst. Wie kann ein Mann nach 20 Jahren nach Hause zurückkehren und sich selbst, die anderen und den Ort unverändert vorfinden? Warten ist keine Tugend, sondern ein existenzieller Schwebezustand, in dem das Leben stillsteht – von Erinnerungen an die Vergangenheit leben und auf die Zukunft hoffen. Es blockiert oder umgeht die Gegenwart. Die Mythologisierung könnte einen Mangel an Ehrlichkeit hervorrufen und das menschliche Bedürfnis unterstreichen, an Wunder zu glauben und ihnen zu vertrauen, anstatt die Geschichte zu verstehen oder in Frage zu stellen.

© Konstantinos Zirganos Kazoleas

Konstantinos Zirganos Kazoleas, Mein Name ist Niemand • 1912 lud der homerische Archäologe Victor Berard den Fotografen Fred Boissonas ein, zu reisen und die Orte zu fotografieren, die Odysseus durchquerte, um Odyssee neben einer Sammlung von Legenden auch als geografisches Dokument zu betrachten. Das Meer repräsentiert das Unendliche in der Zeit, das Mythische. Heute ist keines dieser Bilder im modernen Ithaka zu sehen. An den Ufern der Insel landen private Luxusboote voller Touristen und fahren dann noch am selben Tag ab. Die flüchtigen, aber oft berühmten Besucher genießen eine Mahlzeit und einen Spaziergang in den Touristengeschäften der Insel, um das Homerische Erlebnis zu erleben, und setzen dann ihre Reise fort. Fast alles wird auf der Insel kommerzialisiert, ganz zu schweigen von dem kulturellen Branding namens Odyssee und der Kultur, die um sie herum produziert wird. Leider haben die „Business as usual“-Praktiken auch meine persönliche Erfahrung geprägt. Nach vielen Monaten Arbeit im lokalen Künstlerresidenzprogramm wurde mir telefonisch mitgeteilt, dass meine Zusammenarbeit mit der Organisation einseitig beendet wurde, ohne dass mir das Geld zugesagt wurde. Das ist die eigentliche Odyssee des anonymen Kulturarbeiters. Mit „Mein Name ist Niemand“ interessiert mich, wie sich die kapitalistischen Praktiken der Kulturindustrie im kollektiven Bewusstsein der Insel Ithaka widerspiegeln.

© Alessandra Baldoni

Alessandra Baldoni, Die letzte Reise • Ich bin eine zerbrochene Statue, eine leere Büste, die das Meer widerspiegelt. Ich bin hohl, ich bin ein von der Zeit abgenagter Knochen, zerpickt vom Hunger der Vögel. Meine Worte zählen nicht, sie graben Löcher in die Erde und verschwinden unter einem Geflecht von Zweigen. Das Volle beherrscht mich, mein Name ist überall zu hören. Ich bin am Ort der Verlassenheit angekommen, ich bin dorthin zurückgekehrt, wo ich für mich den Tod gewählt habe. Hier bleibt die Stille. Und endlich höre ich keinen Ruf mehr –

Alle Bilder © der jeweiligen Künstler*innen. Ausstellungsansichten © Michael Michlmayr.